Sonntag, 30. Juli 2017

Eine Reise nach Albanien

Als ich kurz vor meiner Abreise mit Freunden zusammen saß, die um meine Reisepläne wussten, machten wir zum Ende ein Datum für ein neues Treffen nach unseren jeweiligen Urlaubsreisen aus. "So wir denn alle gesund zurückkommen!", meinte eine Freundin, und ich bekam mehr als nur einen besorgten Seitenblick.

Ausgerechnet Albanien! Wie kommt man denn auf Albanien?

Sowas passiert, wenn eine Freundin dort seit 8 Jahren lebt und arbeitet und eines Tages meint: "Komm' doch einfach mal vorbei!" Und als impulsiver Mensch sagt man dann eben nicht "Ich denk' mal drüber nach.", sondern man antwortet "Wann soll ich kommen?".

Was wusste ich über Albanien? Das ist leicht zusammengefasst: N.I.X.

Bilder im Kopf hatte ich natürlich eine Menge:
Alles Verbrecher. Zustände wie im Dritte-Welt-Land. Gefährlich. Schmutzig. Bin ich ausreichend geimpft?
Um es kurz zu machen: Ich war nicht ausreichend geimpft. Der Impfstoff gegen die menschliche Borniertheit wurde halt noch nicht gefunden.

Aber wie erzähle ich nun von einem Land, das so schwer zu erfassen ist, und das so unterschiedliche Facetten bietet, wie noch kein Land, in dem ich bisher war?

Ich fange einfach mal an, wir sehen dann schon.

Aufgrund der anhaltenden Unwetter über Westeuropa landeten wir erst gegen 2 Uhr in der Nacht. Da steht man doch leicht neben sich und ist froh, dass die Einreisekontrolle schnell und mit einer einzigen freundlichen Nachfrage, ob es mein erster Aufenthalt in Albanien sei, abläuft.

Auf dem Weg zum Parkplatz die erste Begegnung mit der immer noch heißen Nachtluft. Laut meiner Freundin kennt man dort die auch im Sommer nachts kühler werdende Temperaturen unserer Breiten nicht. Man würde sich aber daran gewöhnen und es mit der Zeit lieben lernen.

Um das Thema Wetter kurz abzuhandeln: Wir hatten Glück, denn trotz der hochsommerlichen Temperaturen sorgten Wolken und ein kräftiger Wind dafür, dass man es gut aushalten konnte.

Die Straße vom Flughafen in die Innenstadt Tiranas ist brandneu, festlich ausgeleuchtet und mit jungen Bäumen bepflanzt. Ich erfuhr, dass sie für den Besuch von Papst Franziskus im Jahr 2014 so hergrichtet worden war, so wie auch einige andere Teile der Stadt, die damals einen guten Eindruck des Landes nach außen vermitteln sollten.

Ja, ich denke, hier muss ich unterbrechen und euch mit den ersten drei Atemzügen Geschichte langweilen. Obwohl: "Langweilig" war sie nicht, die Geschichte Albaniens. Leider, muss man wohl sagen. Ich werde mich kurz fassen, also lest bitte nicht über den folgenden Abschnitt hinweg, denn vieles ist ohne das Wissen um die jüngere Geschichte nicht verständlich.

Albanien erlebte zwischen 1944 und 1990 eine kommunistische Diktatur, die man in all ihren Auswüchsen und totaler Abschottung (sogar von Ländern wie Russland und China, die dem Diktator Hoxha nicht kommunistisch genug waren) nur mit Nordkorea vergleichen kann. Verhaftungen, Folter und eine totale Überwachung waren das tägliche Brot, und ein anderes gab es kaum, denn durch die völlige, auch wirtschaftliche Abschottung, herrschten bitterste Armut und, ja, auch Hunger.
"Eher werden wir Gras essen, als klein beizugeben!", sagte Hoxha, als Russland die Kornnlieferungen einstellte.
Markige Worte, wie man sie gerne von Diktatoren hört. Natürlich beschränkt sich das "wir" dabei stets auf das Volk, nicht jedoch auf den Diktator selbst.

Erst mit den Umbrüchen in Ländern wie z.B. Ostdeutschland, und Hoxhas Tod 1985 (auch Diktatoren sind sterblich, Gottseidank), war seinem Nachfolger klar, dass er das System nicht würde aufrechterhalten können. Es kam zu Aufständen gegen die Regierung, und letztendlich wurde das Land zu einer parlamentarischen Demokratie.

Mit wie wenigen trockenen Sätzen man doch auch die dramatischsten Zeiten zusammenfassen kann. Doch warum ist es wichtig, dies zu wissen?

Ich glaube, ohne dieses Wissen muss der Blick auf Land und Leute ein extrem verfälschter sein.

Man schaut anders auf Dinge wie die Korruption im Land, auf die vielerorts immer noch große Armut, auf das "Window-dressing" einiger Prachtviertel im Zentrum der Hauptstadt, ja, und auch auf das Verhalten der älteren bis mittelälteren Generation. Denn man versteht, wie weit dieses Land schon in relativ kurzer Zeit gekommen ist, und dass man Geduld haben muss, was den weiteren Weg angeht.

Kehren wir doch einmal zu Nordkorea zurück: Viele von uns haben inzwischen eine Vorstellung davon, wie es dort dem normalen Bürger ergeht. Er wird gelenkt. Das eigene Denken wurde vor langer Zeit abgeschafft, der Große Führer ist Gott und Vater zugleich. Jeder, der auch nur um die kleine Zehe vom Weg abzuweichen wagt, verschwindet in Lagern, aus denen niemand wiederkehrt.

Und nun stellt euch vor, dieses System würde zusammenbrechen.

Wir alle würden es diesem Land wünschen. Aber die geistigen und seelischen Krüppel, die es zurücklässt, sie werden auch nach Jahrzehnten nicht geheilt sein. Glaubt irgendjemand, das bloße Ausrufen einer Demokratie in einem solchen Land würde ausreichen, um innerhalb weniger Jahre "blühende Landschaften" zu erschaffen?

Die Gräuel der vergangenen Jahrzehnte wollen aufgearbeitet werden. Und genau hier gebührt Albanien ein Riesenlob: Dieser Aufarbeitung begegnet man überall. Ehemalige Bunker ( Diktatoren sind alle auch krankhaft paranoid, wir sehen es erst in heutigen Tagen wieder am Beispiel Erdogans) werden zu Geschichtsmuseen, die "Stasi"-Zentrale mit all ihren Überwachungsmethoden werden der Öffentlichkeit zugänglich, die Namen aller Verfolgter, Gefolterter und Ermorderter an Gedenkstätten öffentlich gemacht.

Und diese öffentliche Aufarbeitung wird genutzt. Massenhaft. Man stellt sich der eigenen Geschichte. Das ist zu bewundern. In Deutschland mehren sich nach der gleichen Zeitspanne die "Ostalgiker". In Albanien erzielte die kommunistische Partei bei den letzten Wahlen 200 Stimmen. Landesweit.

Die Geschichten aus der Zeit der Diktatur laufen einem aber auch nach. Da ist das junge Mädchen, das gefoltert wurde, bis es den Verstand verlor. Einzelheiten will ich uns ersparen. Da ist die Geschichte eines Mannes, der auf dem Markt ein Wort über den schlechten Zustand der angebotenen Kartoffeln verlor und daraufhin eine  "Hausbesuch" erhielt, denn er habe die Versorgung der Bürger durch den Staat kritisiert. Der Mann "verschwand".

Habe ich denn während der Tage in Albanien nur Unterricht in der schrecklichen Geschichte des Landes genommen? Natürlich nicht, im Gegnteil. Aber die Geschichte ist auch in alltäglichen Dingen allgegenwärtig und deshalb ein notwendiger Part, um all das Schöne und Gute des Landes anzuerkennen, und, was noch wichtiger ist, um all das Schlechte zumindest verstehen zu können.

Wie muss man sich freuen, wenn man die junge Generation erlebt, weltoffene Studenten, die mit einem guten Schuss Selbstironie von ihrem Land sprechen - die ersten Albaner seit langer Zeit, für die Angst nicht von Kindesbeinen an der ständige Begleiter des täglichen Lebens war.

Wir waren in Patok, einer Lagune am Meer. Ein "Geheimtipp, auf den sogar Insider erst nach Jahren durch einen reinen Zufall stoßen. Dort reihen sich Restaurants wie Perlenschnüre am Wasser aneinander. Sagte ich "AM Wasser"? Es muss wohl eher "IM Wasser" heißen, denn statt teure Restaurantgebäude zu errichten (die sich niemand leisten kann), hat man eine Anreihung kleiner Holzhütten auf Pfähle ins Wasser gesetzt, mit Stegen verbunden. Jede Hütte ist mit einem Tisch und Stühlen eingerichtet, hat Tür und Fenster, und so hat jede Besuchergruppe ihr eigenes kleines Restaurant ganz für sich. Inklusive ist am Abend die "Sonnenuntergangsparty": Das Beobachten, und natürlich Filmen, eines Sonnenuntergangs, wie es ihn eben nur am Meer geben kann.

Ach ja, der am gleichen Tag gefangene Fisch, der dazu serviert wird, ist... ach, da vergehen sogar mir einfach die Worte.

(Nebenbei: Natürlich habe ich eine Menge Fotos gemacht. Die werde ich aber erst sortieren und hochladen, wenn ich wieder zu Hause bin.)

Für heute soll es gut sein. Dann soll mein Reisebericht halt einen zweiten und vielleicht auch dritten Teil bekommen.

Freitag, 21. Juli 2017

Ein eigennütziges Geburtstagspäckchen und ein Entschuldigungsbrief

In dieser Woche habe ich der Tochter einer sehr alten Freundin (die Freundschaft ist alt, nicht die Freundin) ein Geburtstagspäckchen geschickt, dem ich einen Entschuldigungsbrief beigelegt hatte. Meine Freundin meinte dann
"Diesen Brief musst du auf deinem Blog veröffentlichen oder in einer Buchhandlung aushängen."
Naja, fangen wir mal mit meinem Blog an. Hier ist der Brief:

Liebe F.,

das hier darfst und sollst du laut vorlesen, denn bestimmt ist deine Mutter ja beim Auspacken deines Geburtstagspakets dabei.

Was schenkt man normalerweise zum Geburtstag? Ein Buch. Wenn es ein kleines Buch ist oder das Geburtstagskind sehr schnell liest, dann dürfen es auch mal zwei Bücher sein.

Wenn es aber mehr als zwei Bücher werden, dann könnte man sagen (und ich wette mit dir, dass deine Mutter genau das tun wird): „Also, das geht jetzt aber gar nicht!"

Und weißt du, was? Deine Mutter hätte vollkommen Recht. Und doch hat sie Unrecht. Denn in Wirklichkeit sind die Bücher, die ich dir hier schicke, ein ganz und gar eigennütziges Geburtstagsgeschenk.

Es ist nämlich so, dass wir Erwachsene ein Riesenproblem haben:

Als wir in deinem Alter waren, gab es nicht so viele tolle Bücher für uns wie es sie heute gibt. Und darum gehen wir heute neidisch durch die Kinderbuchabteilungen und würden sooooo gerne richtig nach Herzenslust in all den Abenteuer- und Fantasy- und den vielen anderen tollen Büchern stöbern. Aber wir dürfen ja nicht. Stell dir vor, wie das aussähe: Erwachsene, die mit leuchtenden Augen ein Kinderbuch nach dem anderen aus den Regalen zögen, um darin zu blättern und sich festzulesen! Dazu sind Erwachsene viel zu… naja… erwachsen eben. Was sollen denn da die Leute denken?

Wenn sie aber Glück haben, diese Erwachsenen, dann haben sie eine Freundin, und die hat wiederum eine Tochter, die im richtigen Alter ist für Kinder- und Jugendbücher.

Das mit dem „richtigen Alter" ist natürlich wieder so eine Erwachsenensache: Es sind ja die Großen, die festlegen, welche Bücher von den Kleinen gelesen werden sollen, und dann eben auch nur von den Kleinen. Und weil die Großen in Wirklichkeit gar nicht so klug sind, wie sie gerne von sich glauben, kämen sie überhaupt nicht auf die Idee, sich im Irrtum zu befinden. (Das beste Zeichen für Dummheit ist ja, sich für klug zu halten.) Und weil es ihnen also viel zu peinlich ist, beim Kinderbuchlesen erwischt zu werden – deshalb brauchen sie eine gute Ausrede!

Und da kommst du ins Spiel. Denn für ein Kind ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen – das ist völlig in Ordnung. Sowas tun Erwachsene. Und wenn das Kind gerne liest, dann kauft man ein Buch. Und hier – Heureka! – haben wir ihn: Den perfekten Grund, weshalb auch ein Großer nach Herzenslust in der Kinderbuchabteilung stöbern darf, denn schließlich will so ein Geschenk ja gut ausgewählt sein!

Und es kommt noch besser: Hat der Erwachsene das Geschenk dann gekauft, hat er geradezu die Pflicht, das Buch vor dem Verschenken auch zu lesen! Er könnte ja aus Versehen das völlig falsche Buch gekauft haben, ein langweiliges Buch zum Beispiel, oder eines, in dem ganz böse geflucht wird!

Aber siehst du, jetzt kommen wir zu dem Punkt, wo es für den Erwachsenen wieder so richtig schwierig wird: Er hat ja jetzt eigentlich schon ein Buch für das Kind. Beim nächsten Einkaufsbummel in der Stadt lockt aber doch die Buchhandlung aufs Neue! Was tun? Ach, naja, sagt er sich, ein Buch ist kein Buch – und er stöbert sich wieder genüßlich durch die Regale, immer mit dem besten Gewissen, denn er sucht ja nur ein Geburtstagsgeschenk für ein Kind. Nie käme unser Erwachsener auf die Idee, sich selber für Kinderbücher zu interessieren. Er ist ja schließlich erwachsen!

Du lachst! Und womit? Mit Recht! Das ist wirklich zu dumm: Da haben sie irgendwann einmal selber bestimmt, was erwachsen ist, und was nicht, diese Großen, was man tun darf, und was nicht – und dann halten sie sich ein Leben lang verbissen an die eigenen Regeln und kommen gar nicht auf die Idee, dass sie einfach nur kompletter Blödsinn sind. Das kommt davon, weil sie irgendwann, während sie wachsen, aufhören, sich selbst zu hinterfragen. Spätestens bei 1,70m Länge ist damit Schluss. Pass also gut auf, wann du die 1,69m erreichst, denn vielleicht kannst du dann verhindern, dass einen Zentimeter später auch du endgültig aufhörst, dir immer wieder Fragen nach dem Sinn dessen zu stellen, was du gerade tust und lässt.

Aber zurück zu unserem Erwachsenen in der Buchhandlung – dieser arme Tropf hat seine 1,70m eines Tages unbemerkt überwachsen und steckt nun leider in seinem eigenen Regelwerk fest; da kann man nichts mehr machen.

Für ihn wird es jetzt eng: Zwei Bücher sind genug, weiß unser Erwachsener. Doch da sind noch so viele andere Bücher, in die er gerne seine Nase stecken würde. Und in diesem Moment muss er sich eingestehen: Nicht das Kind wird hier beschenkt, sondern der Erwachsene beschenkt sich selbst, und das arme Kind hat keine Wahl, als sich damit abzufinden, dass es im Grunde nur der Vorwand ist, mit dem unser Erwachsener sich selig lächelnd in kindliche Abenteuerwelten flüchten darf.


Ja, ich fürchte, ich muss es zugeben: Alle Bücher, die ich dir hier schicke, sind schon gelesen. Natürlich nur – damit das ganz klar ist! – um sicherzustellen, dass es auch die richtigen Bücher für dich sind. Aus keinem anderen Grund.

Ich kann also nur hoffen, dass du mir nicht böse bist, wenn ich nun von dir verlange, all diese schon gelesenen Bücher als Geburtstagsgeschenk zu akzeptieren. Lesen musst du sie natürlich nicht. Es ist völlig in Ordnung, wenn du sie einfach ungeöffnet in das nächste Regal stellst und sie nie mehr ansiehst.

Ach ja, eines noch: Wenn du irgendwann einmal deine Mutter dabei überraschst, wie sie in einem deiner Bücher liest, dann gehe einfach ganz leise wieder hinaus und störe sie nicht – sie will ja nur prüfen, ob die Geschichten darin für ihre Tochter passend sind. Komme bloß nicht auf die Idee, deine Mutter würde etwa gerne Kinderbücher lesen! Dazu sind wir beide – sie und ich - viel zu erwachsen!

Einen wunderschönen Geburtstag wünsche ich dir – hoffentlich ohne noch weitere schon gelesene Bücher!


Ja, das war er, mein Geburtstagsbrief zu meinem ganz und gar eingennützigen Geburtstagspäckchen. Später habe ich meiner Freundin dann noch geschrieben, dass ich WIRKLICH alle Bücher vorher gelesen hätte. Worauf sie antwortete:
"NATÜRLICH hast du das!"
(Ebenso NATÜRLICH weiß ich, dass auch sie alle Bücher lesen wird, die ich ihrer Tochter geschenkt habe.)

Nicht umsonst sind wir seit mittlerweile 35 Jahren die besten Freundinnen.